Über Gudrun's Atelier

Über das Zeichnen*

Anekdote: Im Unterschied zum expressiven Kritzeln oder dem flüchtig visionären Skizzieren gilt das Zeichnen eher als ein ruhiges, planvoll geordnetes, konzentriertes und selbstbeherrschtes Tun. An den Beobachtungen und Erkenntnissen des Philosophen Ludwig Wittgensteins erläutert Richtmeyer die Grundzüge des Zeichnens und die Unterschiede zu anderen Darstellungsformen. Es bezieht eine sensomotorische Erfahrung und Könnerschaft, sowie bestimmte Regeln und Gebrauch ein.

Etymologie: Es wird die Herkunft des Begriffes „Zeichnen“ hergeleitet. Einerseits meint „Zeichnen“ Gebrauch von Zeichnen, die sichtbare Hervorbringung eines bestimmten Inhalts, der mittels einer Zeichnung ausgedrückt oder angedeutet werden soll. Zum anderen meint der Ausdruck „Zeichnen“  das Setzen eines Zeichens, das als Markierung dient, um einen Zeichenträger be- oder auszuzeichnen, wobei es sich um Menschen, Tiere, Pflanzen, Gegenstände, Sachen oder Orte handeln kann. Verwand ist „Zeichnen“ mit den romanischen Worten disegno und dessin. Das zeichnerische Tun entstammt den griechischen Worten skiagramm oder skiagraphia einem Ritzen.

Kontexte: Beispiele frühesten Zeichnens sind Lascaux und Altamira, wo das „Zeichnen“ als eine der ältesten, überlieferten Kulturtechniken dokumentiert ist. „Zeichnen“ als das Anfertigen traditioneller Bilder. Nach Bryson stellt die Zeichnung immer den gesamten Produktionsprozess, das Zeichnen selbst in all seinen Spuren, den tastenden, vorläufigen, unsicheren ebenso wie den entschlossenen, festen und kräftigen Linien aus, die selbst dann noch sichtbar bleiben, wenn man sie auszulöschen versucht. Vilem Flusser´s These nach wird durch das „Zeichnen“ d. h. die Anfertigung traditioneller Bilder, eine wichtige Zäsur im menschlichen Bewusstsein markiert. Die Urszene des wissenschaftlichen Zeichnens ist die euklidische Geometrie. Die Zeichnung als bildliche Materialisation der geometrischen Regeln.

Konjunkturen: In der Renaissance hat das „Zeichnen“ eine neuzeitliche Konjunktur. Sie thematisiert das Zeichnen explizit als das leitende bildliche Entwurfsverfahren in Malerei, Skulptur und Architektur. Giorgio Vasari nennt den Disegno entsprechend den ‚Vater unserer drei Künste“. Zu dieser Zeit werden zwei wichtige Paradigmen der zeichnerischen Konstruktion formuliert. Einerseits die besonders für den räumlichen Bildaufbau der Malerei verwendete Perspektivkonstruktion und andererseits die für die Architektur verwendete Parallel- oder Orthogonalprojektion. Raffael stellt Parallel- oder Orthogonalprojektion als ein Verfahren dar, mit dem sich die antiken Baudenkmäler Roms, von denen nur noch die Grundmauern existierten, als vollständige räumliche Gebilde rekonstruieren lassen. Das Zeichnen spezialisiert in der Architektur die Bauberufe aus und macht Arbeitsteilungen zwischen Architekten und Bauleitern möglich sowie insgesamt zwischen Entwerfenden (Designern) und ausführenden Handwerkern. Das Zeichnen im  20 Jh. Ist eine hoch spezialisierte, beruflich ausdifferenzierte Gebrauchsweise mit je eigenen Darstellungskonventionen, Anfertigungsweisen und Beglaubigungseffekten.

Gegenbegriffe: Flusser zeigt die Gegenbegrifflichkeit des Zeichnens oder traditionellen Bildermachens das Schreiben. „Der Schreiber kein Maler, er ist ein Zeichner.“ Eine der Gegenbegrifflichkeiten verläuft zwischen dem künstlerischen und dem technischen Zeichnen. Dabei  überwiegt der Regelbezug des Zeichnens, der von einer Linie spricht, wo Künstler nur einen Strich sehen.

Perspektiven: Wilhelm Busch schränkt thematisch die Porträts berühmter Personen der Zeitgeschichte, anstatt auf Ölgemälden oder Reiterstandbildern, auf simple und einfach zu reproduzierende Strichgrafiken ein. Die Geschichte der darstellenden Geometrie analogisiert vernünftiges Handeln (Raffael) und präzises Wissen (Monge) mit dem Zeichnen. Zeichnen ist kein reines Abbilden, sondern ebenfalls ein konstruierendes Verfahren. Es ist nicht absehbar, zu welchem Ergebnis ein zeichnerischer Prozess führt, auch dann nicht, wenn er strengen Regeln zu folgen scheint.

Forschung: Bruno Latours befasst sich, aus der Perspektive einer soziologischen Wissenschaftstheorie, mit dem „Zeichnen“ und der Papierförmigkeit naturwissenschaftlicher Objekte. Er eröffnen damit zahlreiche weitere Forschungsfelder für interdisziplinäre Studien zum Zeichnen. Latours beschreibt zweidimensionale Aufzeichnungen in wissenschaftlichen Forschungsprozessen. Selbst getrocknete Pflanzen werden letztlich in Karten, Tabellen oder Diagramme transformiert. Die vielschichtige Relevanz des Zeichnens stammt aus der Diversität seiner historischen und gegenwärtigen Gebrauchsformen. Die Zeichnung erfindet sich im Zeichnen immer wieder neu. Sie ist von interdisziplinär anhaltendem Interesse.

* Ulrich Richtmeyer

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